Sal, Kapverden
…Der Urlaub neigt sich dem Ende zu. Das olho azul muss noch von uns besichtigt werden. Um die Mittagszeit spiegelt sich in einer Wassergrotte am Atlantik die Sonne im Wasser derart, dass ein blaues Auge zwischen den Felsen erkennbar ist. Schöner als dieses Naturspektakel sind jedoch die Fahrt dorthin und die Kommunikation mit dem Taxifahrer. Schon das Taxi ist eine Wucht, blau-gelbe Sitze und ein blaues Lenkrad mit gelben Tupfen, Farben wie die Flagge Schwedens. Auf der Konsole liegt ein blaues Fell, darauf stehen eine Fatimafigur und dahinter ein Hund, der mit dem Kopf wackelt. Der Fahrer gibt auf meine Begeisterung für seine Innenausstattung zum Besten, dass blau und gelb die Farben Fatimas seien. Wir kommen schnell ins Gespräch. Auch er stammt ursprünglich von einer anderen kapverdischen Insel, ist nach Sal gekommen wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten im Tourismus. Er erzählt, dass er sieben Tage die Woche arbeite und einmal im Jahr für 15 Tage auf seine Heimatinsel Santiago fliege. Seine Tochter lebt dort bei seiner Mutter, er telefoniere jeden Tag mit ihr, müsse aber immer arbeiten, um sie groß zu kriegen. Ich reagiere wohl ein wenig bedröppelt, doch für diese Lebenswelt ist es die Normalität. Warum messe ich sie mit dem Maßstab der Deutschen? „That’s life“, sagt er ohne jegliches Bedauern. Natürlich sollte man keine Vergleiche ziehen, trotzdem denke ich, was für eine Demut dem Leben gegenüber, kein Klagen, Rummäkeln, Hadern. Wir meckern jeden Tag über unseren Stress. Wir verständigen uns in einem Mischmasch aus Englisch und meinerseits versuchtem Portugiesisch. Nicht alles kommt an, was ich sage, aber es ist gute Stimmung. Dann stellt sich heraus, dass er ein wenig Spanisch spricht. Wir kommen darauf, als er uns die Lebensphilosophie der Kreolen nahebringen möchte. Neben dem „no stress“, das wir gefühlt bereits hundert Mal am Tag gehört haben, erklärt er uns nun cabeça fria, auf Kreolisch mit scharfem „s“, über das spanische cabeza verstehe ich ihn. Wenn ich im Deutschen an das „kühle Kopf bewahren“ denke, erscheint es mir jedoch zu rational für eine angemessene Übersetzung, es klingt eher wie „bloß keine Rübe machen“, das passt besser zu den stets tiefenentspannt wirkenden Einheimischen.
Am Schönsten wird es jedoch, als ich ihm auf mehr oder weniger Portugiesisch klar machen möchte, dass Gott auf der Insel die Farben erfunden haben müsse. Er versteht alles Mögliche, z.B., dass es verschiedene Götter gäbe. Das kann ich ihm ausreden, wir sind uns einig, dass es nur einen gibt. Ich versuche es anders. Ich erkläre ihm, dass es in Deutschland auch ein Meer gäbe, aber dass dieses eher grau sei, jedoch niemals diese verschiedenen Türkistöne wie hier habe. Auch das versteht er einfach nicht, wobei es wohl nicht in erster Linie ein sprachliches Problem zu sein scheint. Ich versuche es noch einmal mit Gott und den Farben und tatsächlich, irgendwann versteht er, lacht herzlich und freut sich wie ein Kind über diese Ansicht. In Europa hat er andere Dinge geschaffen, z.B. das Geld. Mit dem Geld könnten wir Farben kaufen, antwortet er jetzt schlagfertig. Wir haben nun zusammen gefunden in unserer Unterhaltung und im Humor. Das begegnet uns hier öfter, ein kleines Späßchen und der Damm ist gebrochen. Farben kann man nicht kaufen mit Geld, wende ich ein, wie so vieles Wichtige. Wieder so eine Weisheit einer Deutschen, die die Muße hat, christliche Kalendersprüche zu lesen und betroffen zu sein. Die Wichtigkeit des Geldes schätzt er komplett anders ein, wir haben ja auch welches, also ist es leicht gesagt, anders darüber zu denken. Es macht trotzdem großen Spaß in diesen Bildern über das Leben zu philosophieren.
Ich verabschiede mich am Ende unserer Fahrt mit dem Wunsch, dass Fatima mit ihm und seiner Tochter sein möge. Er freut sich riesig darüber und ist felsenfest davon überzeugt, dass sie dies tun werde. Eine undenkbare Verabschiedung in Deutschland, aber warum eigentlich? Fehlt die Courage für so etwas Zuhause und macht die Fremde mutiger? Vielleicht stößt sie einen wieder auf das Wesentliche, wenn man für kurze Zeit befreit ist von den vielen Zwängen des Alltags. Eigentlich etwas, was man mitnehmen sollte, so offen und unbelastet auf andere zuzugehen.
Mir ist schon bewusst, dass die eigene Urlaubsstimmung leicht dazu verführt, alles durch eine rosa Brille zu sehen. Natürlich ist hier nicht das Paradies, es herrscht stattdessen harter Lebenskampf und die große Gefahr, dass Investment und Profitgier die Natur zerstören, eine Hotelanlage nach der nächsten entsteht. Eine neue, scheinbar harmlosere Variante der erneuten Kolonialisierung, die die Einheimischen zu Kellnern, Köchen und Putzleuten macht, um den Sonnenhungrigen den Urlaub so angenehm wie möglich zu machen. Natürlich ist es harmloser als Massentaufen von Sklaven auf der Insel Santiago oder der Knast für afrikanische Freiheitskämpfer, den Salazar hat bauen lassen.
Ich denke an die gestrige Begegnung mit einer älteren Einheimischen, die in ihrem Auftreten eine wunderbare Matriarchin abgibt. In ihrem Schmuckshop lässt sie sich auf Preisverhandlungen nur sehr wenig ein, will sich nicht weiter herunterhandeln lassen. Mit lässiger Miene erwidert sie auf Connys flehentliche Frage nach einem besseren Preis: „Mama no profit“. So einfach ist die Sache, sie bleibt stoisch. Als ich den jungen Mann, der ebenso im Laden ist und auf ihre Kommandos hört, frage, ob sie seine Mutter sei, bejaht er dies freudestrahlend. Ich sage ihm, sie sei wohl eine gute business woman und er nickt, freut sich wie ein Schneekönig. (Was nutzt man wohl hier für ein Bild? Sonnenkönig?). Diese Frau könnte ein Modell sein, den Ausverkauf der Insel zu stoppen…
Auszug aus dem Reisetagbuch Sal, Kapverden, Februar 2019