Mauritius
…Das zweite Urlaubswort, das mehrmals täglich fällt, ist die „Botanisiertrommel“. Jeden Tag treffen wir auf so viel Interessantes, Schönes, Exotisches, was da hineinwandern könnte; wobei die Errungenschaften bei Conny auf dem Aquarelliertisch landen, um sie ins Reisetagebuch zu zeichnen, bei mir werden sie gepresst und kommen bei der Abreise in den Koffer.
Im Jardin Botanique in Pamplemousses sollten wir natürlich nichts in die Trommel flutschen lassen. Der Park wurde bereits im 18.Jahrhundert angelegt unter dem Gouverneur Mahé de Labourdonnais, einem tüchtigen Geschäftsmann. Ein M. Poivre wollte von hier das Imperium einer Gewürzinsel aufbauen, so wurde z.B. die Gewürznelke nach Sansibar gebracht, wo sie noch heute ein wichtiger Exportartikel ist. Es ist nicht die einzige Querverbindung zu der Trauminsel, die wir vor einigen Jahren besucht haben, wir waren mit Gewürznelken im Gepäck nach Hause geflogen. Ebenso medizinische Kräuter für die Versorgung der Franzosen wurden hier angebaut. Seine Pflege und Erweiterung verdankt diese prachtvolle Anlage wirtschaftspolitischem Interesse, das Handelsmonopol der Holländer sollte gebrochen werden. Gewürze, Kräuter und Orchideen wurden für den Export angebaut. Ernüchternd, dass es nicht aus Liebe zur Botanik geschah. Heute gehört der Park besonders an Wochenenden den Einheimischen, die hier keinen Eintritt bezahlen müssen.
Große Attraktion sind die Lotospflanzen und die Regina Victoria, eine riesige Wasserlilie, die ursprünglich vom Amazonas stammt. Wie riesige Tabletts mit einem hochgestellten Rand liegen sie auf dem großen Bassin. Ich stelle mir vor, wie man hierauf ein schönes Teeservice mit Leckereien drapiert und kredenzt. Großartige Strukturen wie gut durchdachte Deckenkonstruktionen lassen sich auf der Blattunterseite der wagenradgroßen Teller entdecken, wenn sie, nun einer Fächerform gleichend, eine Hälfte nach innen klappen. Wunderbare Rosétöne zeigen sich dann. Die Blüte, die sich nur für einen Tag entfaltet, wechselt drei Mal am Tag ihre Farbe, morgens ist sie weiß, mittags rosa, nachmittags violett. Sie tragen die Vergänglichkeit der Schönheit in aller Prächtigkeit zur Schau. Stundenlang könnte man hier am Beckenrand hocken und sich an den vielen Details und unterschiedlichen Wachstumsstadien in ihrer Vielfältigkeit niemals satt sehen. Conny hockt sich auf die Knie und zeichnet traumverloren. Sie sieht mit ihrem blonden Zopf in dieser Haltung aus wie ein glückliches junges Mädchen, das ganz in ihre eigene Welt versunken ist. Die Welt der Künstlerin. Es ist 15 Jahre her, dass sie die großen Bilder mit den einheimischen Seerosen gemalt hat, nun werden die etwas exotischeren Varianten in ihrem Reisetagebuch auftauchen.
Die ersten Anpflanzungen von Zuckerrohr auf der Insel finden ebenfalls zu Beginn des 18.Jahrhunderts statt, aus Australien und Java wurde er importiert. So nimmt in diesem Garten ein bis heute wichtiger Wirtschaftszweig der Insel seinen Anfang. Zuckerrohr ist nach dem Tourismus heutzutage die zweitwichtigste Einkommensquelle. Wir sehen jedoch still gelegte bzw. nach plötzlicher Insolvenz verlassene Zuckerraffinerien. Vielleicht wird bald Cybercity, das bei Port Louis entsteht mit seiner Informationswelt die Zuckerrohrstangen ablösen. Auf den Verkehrsschildern prangt jedenfalls das Emblem von Skyscrapern. In meinem Kopf wünschte ich mir Schilder mit Schildkröten oder Seerosen. Die futuristischen Gebäude und Hochhäuser vor den üppigen grünen Bergen wirken völlig fehl am Platze. Bestimmte Entwicklungen werden sich auf dieser Insel ebenso wenig verhindern lassen, selbst wenn unsere rosarote Urlaubsbrille sich im exotischen Paradiesgedanken verliert.
Die Handymasten von France Télécom werden als Palmen umdekoriert, man schaut während der Autofahrt in die üppige Landschaft und ist irritiert. Der Mast wird umwickelt und oben mit Palmenblättern aus Plastik versehen. Zu den unzähligen Palmenarten gesellt sich eine Zivilisationspalme hinzu.
Die Domaine des Pailles, ein Herrenhaus aus Kolonialzeiten mit prächtigen Gartenanlagen, einer alten Zuckerraffinerie und diversen kreolischen Restaurants soll von der mauritischen Regierung an chinesische Investoren verkauft werden, und das, wo es nicht nur ein beliebtes Ausflugsziel für die Touristen ist, sondern gleichsam ein Naherholungsgebiet für die Einheimischen. Was soll daraus werden, fragt man sich, eine Mall mit Zuckerrohr aus Plastik zur Deko, in der sich eine der bekannten Kaffeeketten einnistet? Kreolische Küche to-go in Wegwerfgeschirr, kleine blinkende Hindutempel für die Autoablage? Sieht man dann hier nur noch die jungen Chinesinnen in ihren Gucci-Fälschungsfummeln für die Kamera ihrer männlichen Begleiter posieren? Es ist ein merkwürdiges Bild, wie sie maximal eines ihrer Füßchen in den Ozean halten, posieren wie Aufziehpüppchen, die man mit drei bis vier unterschiedlichen Hebelstellungen bedienen kann, um eine Variante für die künstlichen Verrenkungen auszuwählen. Für die Gesichtsmimik scheint es nur eine Einstellung zu geben, das unnatürliche Grinsen, bei dem ein unsichtbarer Faden die Mundwinkel Richtung Ohrmuscheln zieht. Selfies mit Teleskopstangen sind ebenso der Renner. Ein pikantes Detail der Globalisierung, wie eine ehemalige gedemütigte Kolonie nun Teile einer anderen ehemaligen Kolonie aufkauft. Da sei einem das permanent Lächeln erlaubt…
Auszug aus dem Reisetagebuch Mauritius, Januar 2015